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Mag. Wolfram Hitz
Vor kurzem wurde eine höchstgerichtliche Rechtsprechung veröffentlicht (OGH 30. 10. 2019, 9 ObA 86/19s), die medial für einiges Aufsehen gesorgt hat. Es ging dabei um die Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit eines zum Zeitpunkt der Einstellung bereits über 50-jährigen. Tenor der Presse: „Oberster Gerichtshof verstärkt Kündigungsschutz für Ältere“ (Der Standard vom 4.2.2020). Eine nähere Betrachtung soll aber zeigen, was die Entscheidung genau aussagt und warum sie nicht wirklich überraschend kam.
Klar ist nach dieser Entscheidung aber jedenfalls, dass ältere Arbeitnehmer weiterhin die (chancenreiche) Möglichkeit zur Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit haben, selbst dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Einstellung des 50. Lebensjahr bereits vollendet haben.
Grundsätze des Kündigungsrechts
Das österreichische Arbeitsrecht kennt eine grundsätzliche Kündigungsfreiheit, sodass (unbefristete) Arbeitsverhältnisse an sich grundlos unter Einhaltung von Fristen und Terminen aufgelöst werden können.
Der Arbeitgeber muss nur dann einen Grund angeben bzw. nachweisen, wenn die Kündigung angefochten wird und dabei ein diskriminierendes oder motivwidriges Motiv seitens des Arbeitnehmers glaubhaft gemacht wird. Eine Kündigung kann ebenso wegen Sozialwidrigkeit gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG angefochten werden – in diesen Fällen muss der Arbeitnehmer glaubhaft machen, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist und seine Interessen massiv beeinträchtigt sind. Der Judikatur folgend sind dabei die familiären Lebensumstände des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Sorgepflichten, Schulden, Familienverdienst etc), aber vor allem auch die Chancen am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Wie lange wird eine potentielle Arbeitslosigkeit andauern, mit welchen Gehaltseinbußen hat ein Arbeitnehmer in einem neuen Job zu rechnen etc. Als Faustregel galt, dass eine Kündigung eines über 50-jährigen sehr häufig zu einer Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit führen würde.
„Einschränkungen“ der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit bei über 50-jährigen
Der Gesetzgeber hat in zwei Etappen darauf reagiert und zunächst die Anfechtungsmöglichkeit für jene Arbeitnehmer eingeschränkt, die zum Zeitpunkt der Einstellung bereits das 50. Lebensjahr vollendet hatten und in den ersten beiden Jahren gekündigt wurden. Mit 1.7.2017 wurde für Neueinstellungen ab diesem Zeitpunkt auch die Zweijahresfrist gestrichen und lautet § 105 Abs 3b ArbVG letzter Satz wie folgt:
„Dies gilt nicht für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben.“
Aufmerksamen Lesern des Gesetzes war somit schon 2017 klar, dass dieser Satz nicht die grundsätzliche Anfechtungsmöglichkeit gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG einschränkt, sondern sich nur auf die Ausführungen in Abs 3b leg cit beziehen kann: Dort wird ausgeführt, dass „die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen“ sind.
Die Einschränkung des Gesetzgebers hat sich somit vom Wortlaut her niemals auf ein Ende der Anfechtungsmöglichkeit für ältere Arbeitnehmer bezogen, sondern bloß auf die nicht mehr durchzuführende „besondere“ Berücksichtigung des erhöhten Lebensalters bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Was dies genau bedeutet, war allerdings sehr wohl unklar und hat nun der OGH ausgelegt:
Einerseits sind die aufgrund des konkreten Lebensalters zu erwartenden Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei ab dem 50. Lebensjahr eingestellten (noch nicht zwei Jahre beschäftigten) Arbeitnehmern im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung eines Arbeitnehmers nach ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung für ihn nicht „besonders“, sondern wie bei einem jüngeren Arbeitnehmer, das heißt „gewöhnlich“ zu berücksichtigen.
Andererseits sind die mit dem jeweiligen Alter zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht zur Gänze auszublenden. Eine abstrakte, alterslose Beurteilung würde nicht nur dem Prinzip widersprechen, dass die individuelle Interessenbeeinträchtigung des gekündigten Arbeitnehmers festzustellen ist, sondern ließe auch offen, welches Alter dafür als Vergleichsalter anzunehmen wäre. Altersbedingte Wiedereingliederungsschwierigkeiten könnten schon bei zB 35- oder 45-jährigen Arbeitnehmern unterschiedlich sein.
Konkrete Entscheidung im Anlassfall
Der Arbeitnehmer war zum Zeitpunkt der Kündigung 59 Jahre alt. Laut Aussage eines Sachverständigengutachtens würde es ihm gelingen, in einem Zeitraum von bis zu zwölf Monaten ab Kündigungsausspruch eine Vollzeitbeschäftigung zu finden. Wenn man vom fortgeschrittenen (Erwerbs-) Alter des Arbeitnehmers absehen würde, wäre mit einer Arbeitsplatzsuchdauer von maximal vier Monaten ab Kündigungsausspruch zu rechnen.
Die fiktive Arbeitslosigkeit ist laut OGH aber unbeachtlich, da – wie bereits oben ausgeführt – die Novellen des ArbVG nicht die Beseitigung der Anfechtung der Sozialwidrigkeit an sich bedeuteten bzw. ein komplettes Negieren des Alters, sondern dem Alter bei der Prüfung bloß keine „besondere“ Berücksichtigung zugemessen werden darf. Die Chancen am Arbeitsmarkt sind trotzdem auf Basis des reellen Alters zu beurteilen, sodass in diesem Fall (bis zu 12 Monate Arbeitslosigkeit) von einer Sozialwidrigkeit auszugehen war.